Während Kinder früher noch mit Stofftieren und unscheinbaren Puppen spielten, sich mit Gleichaltrigen entwickelten und mit ihren Eltern oder Großeltern das Alphabet sowie Lesen und Schreiben zu lernen versuchten, geht die Entwicklung heute immer mehr in Richtung frühkindliche Digitalisierung. Die Spieleindustrie hat dafür bereits feste Pläne und möchte Kleinkinder ab einem Alter von zwei Jahren an sprechende Puppen und Apps zum Lernen heranführen.
Digitales Spielzeug soll in den Kinderzimmern deutscher Haushalte für eine Revolution sorgen, gefördert wird das sogenannte „Kinderzimmer 4.0“ sogar aktiv von der Bundesregierung. Der Leitgedanke dahinter ist das Fördern eines zukunftsfähigen Deutschlands. Doch ist das der richtige Weg?
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Psychologen warnen vor den Folgen
Experten, darunter Mediziner und Psychologen, stehen der frühkindlichen Digitalisierung kritisch gegenüber und machen auf die möglichen Folgen aufmerksam. So können insbesondere Kleinkinder noch gar nicht verlässlich den Unterschied zwischen Puppe und Mensch feststellen.
Werden sie dann auch noch in einer solch frühen Entwicklungsphase mit sprechenden Kuscheltieren oder Barbies konfrontiert, so könnte dies maßgebliche Veränderungen in der Entwicklung des kindlichen Gehirns verursachen.
Die dauerhafte Reizüberflutung durch elektronisches Spielzeug könnte die Ausreifung des gesunden Menschenverstands bei Kindern stören und für eine eingeschränkte Impulskontrolle sorgen. Die Entwicklung der Kinder wäre damit gefährdet. Diese Ansichten werden ebenfalls von der Weltgesundheitsbehörde und verschiedenen Drogenbeauftragten der deutschen Bundesregierung geteilt. Der Handlungsbedarf in Sachen Spiel- und Computersucht ist akuter denn je, die nicht stoffgebundene Sucht nach digitalen Spielen wurde im Jahr 2018 bereits als offizielle Krankheit anerkannt.
Dennoch wirbt die Bundesregierung seit Jahren offensiv für die Zusammenführung von Kleinkindern und digitalen Beschäftigungsmöglichkeiten mit Lerneffekt.
Die Realität ist erschreckend
Was in der Theorie vielversprechend und wirkungsvoll klingen mag, erzeugt in der Realität ein erschreckendes Bild: Eltern fühlen sich hilflos, weil die Kinder den Großteil ihrer Zeit nur noch im Internet, vorm Computer oder am Smartphone verbringen. Dabei wird der Grundbaustein für den Weg in die Spielsucht bereits im Kindergarten gelegt: Immer mehr pädagogische Methoden beabsichtigen es, die Kinder bereits im Kita-Alter auf die digitale Welt vorzubereiten.
Kinderärzte warnen vor dem übermäßigen Umgang mit digitalen Medien, denn es beeinträchtigt die Bildung emotionaler, sozialer und kognitiver Fähigkeiten. Auch auf die psychische Gesundheit hat der übermäßige Konsum einschneidenden Einfluss.
Die ersten Jahre sind entscheidend
Kinder entwickeln innerhalb der ersten beiden Jahre das sogenannte Urvertrauen, um sich in ihren weiteren Lebensjahren optimal entwickeln zu können. Dieses Urvertrauen entsteht durch eine sichere Bindung zu den engsten Bezugspersonen und setzt deren ungestörte Aufmerksamkeit voraus. Kinder bereits in einem solchen Alter mit digitalen Medien zu beschäftigen, würde somit Gegenteiliges bezwecken. Zudem können auch bereits Kinder eine Spielsucht entwickeln. Die Reize, die das Gehirn bei dem digitalen Feuerwerk von Videos, Animationen und Bildern überfluten, lassen das Belohnungssystem im kindlichen Gehirn auf Hochtouren laufen. Dies führt dazu, dass sich bestimmte Bereiche zu schnell entwickeln, andere wiederum unterentwickelt bleiben.
Die Folge davon ist der Weg in eine Art Spielsucht, denn insbesondere der Bereich des Gehirns, welcher für die Kontrolle der Belohnungsreize zuständig ist, verkümmert. Kinder verlangen sodann immer mehr von dem, was das Belohnungssystem einfordert. Die Konsequenz davon ist die Entwicklung eines Suchtverhaltens.
Spielangebote, die Kreativität und Eigeninitiative erfordern, werden dadurch zunehmend uninteressant für Kinder. Die evolutionär vorgesehene Entwicklung verkümmert.
Das Problematische an dieser Spielsucht bei Kindern ist, dass das Belohnungszentrum der Kinder nicht mehr aufgrund von angeeignetem Wissen Dopamin ausschüttet und damit den Anreiz für weiteren Wissensdrang erschafft, sondern die Ausschüttung des Dopamins bei einem digitalen Sinnesreiz auf verkürztem Wege erfolgt. Neuronale Verbindungen, wie sie eigentlich beim Lernakt entstehen, bleiben aus, eine Langzeitspeicherung des angeeigneten Wissens ebenfalls.
Nachfolgende Generationen werden zunehmend bewegungsfaul
Ein weiteres Problem, das die Beschäftigung und das vermeintliche Lernen mit digitalen Medien mit sich bringt, ist der verringerte Bewegungsdrang. Weniger Bewegung bedeutet gleichzeitig eine verringerte Lernkapazität, denn Bewegung fördert insbesondere bei Kindern den Lernprozess. Befinden sich Kinder in Bewegung, so kann sich das sensorische Empfinden ausprägen und die Verknüpfung von Gehirnzellen stattfinden. Bleiben diese Bewegung und der evolutionsbedingte Drang nach Spielen, Erfinden, Erkunden und Wissbegierde aus, weil Kinder in ihrer Bewegung zunehmend durch die digitalen Medien ausgebremst werden, so bleibt auch die Entwicklung des Handelns und Denkens auf der Strecke.
Dies fängt bereits damit an, dass Kinder im Alter von 2 Jahren Probleme haben, sich selbst als eigenständiges „Ich“ wahrzunehmen. Auch die Möglichkeit, die dingliche, greifbare und räumliche Welt zu entdecken, bleibt dadurch auf der Strecke. Wissen wird nur noch bedingt gesammelt und die Intelligenz nicht mehr im zwingenden Maße gefordert. Ein Kind, das sich hauptsächlich vor einem Handy-, Tablet-, Computer- oder Fernsehbildschirm befindet, verpasst die sinnlichen Erfahrungen von Stoffen und Dingen, sodass die Eindrücke nicht verarbeitet und abgespeichert werden können.
In Bewegung zu sein, ist für Kinder per se bis ins Grundschulalter eine wichtige Bedingung, um die Empfindungen des eigenen Körpers, der eigenen Fähigkeiten, der Umwelt und der darin möglichen Selbstwirksamkeit im richtigen Ausmaß entwickeln zu können. Hiervon hängt in großem Maße das spätere Selbstwertgefühl ab. Doch neben der körperlichen Bewegung selbst, ist auch die Ausprägung der Feinmotorik von großer Bedeutung. Jene kann sich ebenfalls nur dann ausbilden, wenn entsprechende Strukturen im Hirn gebildet werden. Maßgeblich hierfür sind Tätigkeiten wie Malen, Schreiben sowie das einfache Anfassen von Gegenständen und der Umwelt.
Beschränkt sich der Untergrund der Hände größtenteils auch einen Touchscreen, so bleiben wichtige Bereiche der Feinmotorik völlig unterentwickelt.
In der Summe wirkt sich die ausgebremste Bewegung und der damit einhergehend nur noch bedingt stattfindende Lernprozess auf die Gesamtheit der Entwicklung aus, sodass selbst das Schreiben und Lesen und im Endeffekt auch das Denken darunter leiden können.
Das Maß bestimmt das Gift
Spaß und altersgerechte Inhalte allein bezwecken nicht, dass die digitalen Beschäftigungsmöglichkeiten für Kinder angemessen sind. Stattdessen sollte nach sämtlichen vorliegenden Erkenntnissen über den Einfluss der frühkindlichen Digitalisierung vielmehr darauf geachtet werden, dass der Konsum sich auf ein Mindestmaß beschränkt.
Das vorsichtige Heranführen der Kinder an digitale Produkte ist gemessen am digitalen Zeitalter sicherlich nicht verkehrt, doch in der Digitalisierung ein pädagogisch wertvolles Potential zu sehen, könnte rein faktisch durchaus fragwürdig sein.